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Baumeisterin der Biologie: Zement aus Korallen. Benzin aus Algen. Leder aus Pilzen.

Tara Shirvani war aufgeregt. Hastig blickte sie sich um. Am Gang war niemand zu sehen. Die damals Sechsjährige huschte in das Arbeitszimmer ihres Vaters, versteckte sich hinter der Tür und riss überrascht die Augen auf. Da war plötzlich eine andere Welt. Ein von UV-Licht durchfluteter Raum voller Pflanzen in allen Größen, einige der Töpfe mit blauen Netzen bedeckt. An den sattgrünen Blättern knabberten Käfer, darunter lagen weiße Pappstücke voller schwarzer Punkte. Gerade als sie diese Papp­stücke näher anschauen wollte, stürmte ihr Vater ins Zimmer. Er war verärgert, er grollte: „Tara! Diese ­Käferkacke ist meine Doktorarbeit – nicht angreifen!“

Käfer, ihre Ausscheidungen und eine wissenschaftliche Arbeit? „Mir war das damals peinlich“, sagt Shirvani. „Es ist nicht cool, über Kacke zu forschen, das dachte ich mir jedenfalls. Erst Jahre später hab ich verstanden, dass diese Arbeit eine Vorstufe der Synthetischen Biologie war.“ Ihr Vater ist Insektenforscher, und damals beschäftigte ihn die Frage, inwieweit Hell- und Dunkelphasen den Stoffwechsel von Käfern beeinflussen. Seine Erkenntnisse sind der modernen Wissenschaft übrigens bis heute nützlich: Wird ein Käfer bei mehr Lichteinstrahlung kräftiger, sehen Forscher die dafür verantwortlichen Veränderungen in den Genen und tunen das Erbgut entsprechend, um neue Käfer zu schaffen, die womöglich resistenter auf den Klimawandel reagieren.

Pappkarton, übersät mit schwarzen Punkten. „Diese Käferkacke ist meine Doktorarbeit“, sagte Taras Vater. Damals war sie gerade sechs. Und mit einem Mal ganz sicher, was sie mit ihrem Leben machen wollte.

Doch zurück zu Shirvani, die heute 36 Jahre alt ist und seit dreißig Jahren für die Welt der Wissenschaft brennt. Ihr Vater gab ihr damals ein Lichtmikroskop, gemeinsam sahen sie sich winzige Bauteile von Pflanzen und Insekten an, er brachte ihr bei, Abstriche zu machen, Präparate zu färben und Zellen zu identifizieren. Shirvanis spannendes Forscherleben begann früh, und es führt sie zum komplexen Feld der Synthetischen Biologie (SynBio), an die sie ihr Herz verliert. Diese Wissenschaft werde die Welt retten, daran glaubt sie entschieden, und sie für ihre vierjährige Tochter zu einem besseren Ort machen.



Zusammen mit ihrem Mann und der gemeinsamen Tochter lebt Shirvani in London, auch wenn sie noch sehr oft in Wien ist. Sie erzieht ihre Tochter so umweltbewusst, wie es ihr Vater damals bei ihr gemacht hat – und sie spielt sehr viel Lego mit ihr. Denn die Synthetische Biologie, beschreibt Shirvani, ist wie ein Lego-Baukasten: Wissenschaftler können die Natur in ihre kleinsten Bauteile zerlegen und verändert wieder zusammensetzen, um Neues zu schaffen. Das ist an sich nichts Neues: Menschen greifen seit über vierzig Jahren gezielt in die DNA lebender Organismen ein. „Doch die Synthetische Biologie geht einen Schritt weiter und will Organismen konstruieren, also neu erfinden“, sagt Shirvani.


Vier Jahre lang forschte die Klima­expertin im Rahmen ihrer Dissertation an der Oxford University am Treibstoff der Zukunft. „Ich habe diese Zeit im Labor, dieses stundenlange Tüfteln geliebt“, erzählt sie. „Mich hat fasziniert, wie wir Algen genetisch so verändern können, dass sie zum perfekten Treibstoff werden, also möglichst wenig Wasser und Land benötigen und dennoch viel Sprit liefern.“ Die Idee: Es geht um Fett. Aus Algen, die besonders viel Fett enthalten, lässt sich noch besserer Treibstoff produzieren. Dafür identifizierte Shirvani unter dem ­Mikroskop all jene Algengene, die für die Fettproduktion verantwortlich sind, und veränderte ihr Erbgut entsprechend. „Das funktioniert fantastisch“, schwärmt sie. Das Prinzip ist dabei bei allen SynBio-Prozessen dasselbe: Bakterien, maßgeschneiderte Mikroorganismen mit neuen, nützlichen Eigenschaften, können überall eingesetzt werden, wo Bedarf ist. Sei es, um Biokraftstoffe zu produzieren, Plastikmüll zu verwerten, medizinische Wirkstoffe zu liefern oder dafür zu sorgen, dass biosynthetisches Hühnerfleisch exakt so schmeckt wie herkömmliches.

Die USA und China investieren bereits hunderte Milliarden in Synthetische Biologie, Europa ist immer noch Schlusslicht. „Wir sollten endlich daran glauben“, sagt Shirvani.

Wie aber funktioniert genau das? „Nehmen wir zum Beispiel Bakterien, die Korallen bilden, und verändern sie genetisch so, dass sie durch dazugewonnene Eigenschaften Zement produzieren“, holt Shirvani aus. Der entscheidende Punkt: Bei herkömmlicher Zementherstellung braucht es Temperaturen von weit über 1000 Grad Celsius, bei Produktionsprozessen mit Bakterien benötigen wir keine Verbrennung. „Nachdem wir 200 Jahre lang alles verheizt haben, was uns unter die Finger kam, produzieren wir künftig bei Raumtemperatur“, sagt Shirvani. Ein Streichholz zünden wir dann nur mehr für ein Kerzenlichtdinner an.


Warum aber machen wir es nicht gleich? Weil Veränderung Mut und Kraft erfordert und natürlich Geld, viel Geld. „Wir müssen unsere gesamte Wirtschaft, unsere gesamte ­Industrie auf den Kopf stellen, was mit erheblichen Kosten verbunden ist“, sagt Shirvani. Die USA und ­China investieren bereits hunderte Milliarden Dollar in die SynBio, Europa ist immer noch Schlusslicht. „Wir sollten endlich beginnen, daran zu glauben“, glaubt Shirvani.



Damit der Glaube auch endlich durchsickert, forscht Shirvani heute nicht mehr im Labor, sondern hält Vorträge an renommierten Univer­sitäten und berät Investoren und Regierungen beim Einstieg in Öko-Projekte. Die Begeisterung, die sie für das Thema hat, trägt sie im Gespräch weiter, sie ist extrovertiert und geht offen auf Menschen zu. Shirvani macht Druck, die Chancen der SynBio endlich in die öffentliche Diskussion über den Klimawandel einzubringen. Unter anderem mit ihrem Buch, in dem sie mit diesem Argument lockt: Wer jetzt ein paar Euro in das richtige SynBio-Unternehmen steckt, kann ebenso reich werden wie die allerersten Investoren bei Amazon, Apple oder Microsoft.


VOLLBETON – AUS BAKTERIEN

Eines ihrer liebsten Beispiele eines wissenschaftlichen Durchbruchs der Synthetischen Biologie ist etwa jenes, Beton industriell mit Bakterien herzustellen. Derzeit werden weltweit pro Jahr 4,4 Milliarden Tonnen Beton erzeugt, eine günstige und belastbare Mischung aus Zement, Wasser und Sand. Bis 2050 sollen es über 5,5 Milliarden Tonnen sein, weil Bevölkerung und Städte wachsen. Das verursacht acht Prozent der weltweiten CO²-Emissionen. In den USA gibt es bereits Unternehmen, die mithilfe von Bakterien grünen, nachhaltigen Biozement bei Raumtemperaturen ohne CO²-Emissionen herstellen – der wiederum mit Wasser und Sand versetzt zu Beton wird. Sie verwenden dafür Bakterien, die seit Urzeiten Zement herstellen, sie finden sich etwa in Muscheln, deren Außenschicht aus Kalziumkarbonat besteht, einem harten Stoff, der in Kalkgestein vorkommt. Damit lassen sich etwa Wände bauen, und auftretende Risse werden wie durch Zauberhand selbst repariert.

Es mag verrückt klingen, aber Forscher arbeiten daran, die urzeitlichen Wollhaarmammuts wiederzubeleben. Ein wunderbarer Gedanke, dermaßen sinnvolles Leben zu schaffen. Tara Shirvani

Und es gibt noch viel mehr: „Ich liebe Ledertaschen“, sagt sie. Allerdings müsse es kein „echtes“ Leder sein. Bei der Suche nach umweltfreundlichen Materialien entdeckten Forscher Pilze und ihre Wurzeln. Bakterien können die Pilze in eine Art Leder verwandeln, das strapazfähig und perfekt recycelbar ist. Das Modehaus Hermès verwendet dieses Leder der Zukunft bereits, Stella McCartney, Adidas und Mercedes ebenfalls. „Die Taschen sehen super aus“, findet Shirvani, „und Veränderung ist in dem Bereich besonders wichtig.“ Die globale Modebranche stößt pro Jahr etwa so viele Treibhausgase aus wie die gesamte Wirtschaft Frankreichs, Deutschlands und des Vereinigten Königreichs zusammen. Sechzig Prozent aller Textilfasern, darunter Polyester, Nylon und Acryl, werden aus fossilen Brennstoffen gewonnen, für unser Klima eine Katastrophe.


OH TURBOBAUM, OH TURBOBAUM …

„In der gesamten Tier- und Pflanzen­welt könnte eine Revolution anstehen, wenn wir sie nur zuließen“, sagt Shirvani und kommt zu ihrem Lieblingsbeispiel, den sogenannten Turbobäumen: Aktuellen Studien zufolge bleiben sieben Jahre Zeit, um den überschüssigen Kohlenstoff aus der Atmosphäre zu entfernen und die globale Erwärmung zu begrenzen. Das naheliegende natürliche Mittel dafür sind Bäume, doch unsere Wälder sind der Aufgabe nicht gewachsen. Die Synthetische Biologie will deshalb die Photosynthese der Bäume effizienter gestalten. „Amerikanische Forscher haben mithilfe von Bakterien Gene aus Kürbissen und Grünalgen in Hybrid-Pappeln eingepflanzt. Das Ergebnis waren Bäume, die um die Hälfte höher werden als durchschnittliche Bäume und um dreißig Prozent mehr CO² speichern“, erklärt Shirvani.

Und dann ist da noch die Möglichkeit, Plastik verschwinden zu lassen: Täglich gelangen acht Millionen Plastikteile in die Ozeane, 80 Prozent des Meeresmülls besteht aus Plastik. Das sind bis zu 269.000 Tonnen – und noch schlimmer die Bilanz: 100.000 Meeressäuger und Schildkröten und eine Million Seevögel sterben jedes Jahr durch die Verschmutzung der Meere mit Plastik. „Die SynBio hat Mikroben entwickelt, die Kunststoff fressen“, sagt Shirvani. Technisch gesprochen bauen diese die Polymerketten, aus denen Plastik besteht, ab und lassen dessen ursprüngliche Bausteine, die Monomere, übrig. Die Monomere lassen sich zu neuwertigen Kunststoffen zusammensetzen. Theoretisch ließe sich eine auf diese Weise hergestellte Flasche unbegrenzt recyceln.


Zum Schluss spricht Shirvani noch über das Mammutprojekt: „Es mag verrückt klingen, aber Forscher arbeiten daran, die urzeitlichen Wollhaarmammuts wiederzubeleben.“ Diese Tiere prägten früher das Erscheinungsbild der Tundra. Sie grasten die Landschaft ab, wodurch der Boden stärker abkühlte und mehr Kohlenstoff und Methan speicherte. Gelingt es Forschern nun, die Gene von asiatischen Elefanten, die jenen des Wollhaarmammuts ähnlich sind, dahin­gehend zu verändern, dass diese Tiere kälteresistenter werden, würde damit eine Gattung entstehen, die, ebenso wie einst die Wollhaarmammuts, das Klimaproblem auf natürliche Art lösen. Das erste neue Mammut soll bereits 2027 zur Welt kommen. „Ein wunderbarer Gedanke, dermaßen sinnvolles neues Leben zu schaffen“, sagt Shirvani. Und er ist real.

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