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Strahlende Nukleare Zukunft?

Boris Johnson setzt auf Atomkraft, um Klimawandel und Abhängigkeit von russischem Gas zu begegnen. Doch der Weg dorthin ist lang und teuer.








DIE EREIGNISSE IN DER UKRAINE haben die politi- sche Debatte, Europa – blitzschnell – aus der Ab- hängigkeit von russischen Gasimporten zu führen und den CO2-Ausstoß bei der Stromerzeugung zu reduzieren, neu entfacht und zu einem Umdenken einiger politischer Entscheidungsträger geführt. So hat im Vereinigten Königreich Boris Johnson ge- genüber den Chefs der Atomindustrie erklärt, dass die Regierung anstrebt, den Anteil des mit Hilfe von Kernenergie erzeugten Stroms von heute 16 Prozent auf 25 Prozent bis zum Jahr 2050 zu steigern. Das entspräche dem Niveau der Hochblü- te der Kernenergie und würde ein immenses Er- neuerungsprogramm von veralteten oder bereits stillgelegten Anlagen erfordern. Dieser Schritt hätte eine beträchtliche Verschie- bungimEnergiemixdesLandeszurFolge,einerseits um unabhängiger von den steigenden Erdgaspreisen zu werden, andererseits um die Volatilität der erneu- erbaren Energiequellen auszugleichen – eine Aufga- be,dieheutehäufigvonKohle-undGaskraftwerken übernommen wird. Allerdings sollte man sich darüber im Klaren sein, dass der neue Enthusiasmus der britischen Regierung für die Atomkraft kurzfristig keinen Einfluss auf die Energierechnungen haben wird. Keiner der Vorschläge wird dazu führen, dass in den nächsten zehn Jahren neue Kernenergie in die Netze fließen wird. Denn Nuklearprojekte sind langwierig und komplex, und die Begeisterung bei den Investoren war bisher eher durchwachsen. Zwei große Probleme bleiben bestehen: Geneh- migung und Bau von Kernreaktoren nehmen viel Zeit in Anspruch; gleichzeitig sind sie teuer und überschreiten in der Regel das Budget. Bei neuen Kernkraftwerken schwanken die Stromgestehungs- kosten (LCOE) je nach Standort zwischen 65 und 150 Dollar je Megawattstunde. Im Vergleich dazu liegen die Kosten für Photovoltaik-Anlagen bei 35 bis 55 Dollar, für Windkraft bei 35 bis 50 Dollar und für Offshore-Windparks bei 75 bis 130 Dollar je Megawattstunde. Selbst wenn man die Kosten für die Zwischen- speicherung der Energie – zwischen sechs und neun Dollar pro Megawattstunde – zu den Strom- gestehungskosten hinzurechnet, um die von Wind und Sonnenschein abhängigen erneuerbaren Ener- gien besser mit der Kernenergie vergleichen zu können, ist die Kernkraft immer noch teurer. Und während die Investoren zuversichtlich sind, dass die Kosten für Solarkraft, Onshore- und Offsho- re-Windkraft bis 2050 um 53 bis 57 Prozent sinken werden, rechnet niemand damit, dass die Kosten für die Kernenergie in absehbarer Zeit fallen wer- den. Hinzu kommt, dass die Bauzeit für ein Kern- kraftwerk der Standardgröße mit zehn bis 15 Jah- ren wesentlich länger ist als für Windkraftanlagen mit vier Jahren und für Solarkraftwerke mit sechs Jahren, was die Wirtschaftlichkeit noch schlechter aussehen lässt. DIE BRITISCHE REGIERUNG setzt nun auf kleine modulare Reaktoren (Small Modular Reactors, SMR). Dahinter steht die Idee, dass Reaktoren in einer Fabrik als Module vorgefertigt und dann an alten Atomstandorten zusam- mengebaut werden können, um deren Netzanschlüsse, Kühl- wasserquellen und qualifizierte, atomfreundliche Arbeitskräfte zu nutzen. Da sie kleiner sind und an mehreren Standorten zusammengebaut werden, sind sie „investitionsfreundlicher“ als die erwähnten herkömmli- chen Reaktoren. Und da SMR-Reaktoren den Brennstoff effizienter nutzen, produziert diese neue Generation von Anlagen auch viel weniger Atom- müll. Allerdings sind nicht alle davon überzeugt, dass die Kernenergie ein zuverlässiges Instrument zur Verlangsamung der globalen Erwärmung und zur Sicherung der Energieversorgung ist. Die Gefahren der Kernenergie sind durch tragische Unfälle im Laufe der Jahre gut dokumentiert. Für die sichere Lagerung der Abfälle sind spezielle Lösungen er- forderlich. Während Boris Johnson seinen neuen Vorstoß für die Kernenergie vorbereitet, bleibt das 131 Milliarden Pfund teure Problem der sicheren Entsorgung der riesigen Mengen radioaktiver Ab- fälle aus dem letzten britischen Atomprogramm ungelöst. Hinzu kommt, dass die Kernenergie 400- mal mehr Wasser benötigt als andere Formen er- neuerbarer Energie. Der Russland-Ukraine-Krieg hat die Diskussion rund um Kernenergie jedenfalls endgültig wieder ins Spiel gebracht. Doch der Weg dorthin ist für Großbritannien noch lang und holprig.

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